BIG Spaziergang N° 2

Ein Tag in Salzburg - Gebäude mit Geschichte für Jedermann

Ein Spaziergang von Christian Seiler

Aus dem Büro des Salzburger Bürgermeisters im ersten Stock von Schloss Mirabell schaut man entlang der Mittelachse des barocken Mirabellgartens exakt in Richtung Hohensalzburg. Das bedeutet natürlich auch, dass man beim Durchwandern des Gartens genau sehen kann, wo der Bürgermeister residiert: im ersten Stock über der Mittelachse. Als ich durch das Große Gartenparterre flaniere, um den versteckten Durchgang zum Mozarteum zu finden, dessen strenge Neubaufassaden über die seitlichen Gartenmauern lugen, werfe ich den einen oder anderen Blick zurück Richtung Schloss, fixiere die Bürgermeisterfenster, sehe, dass sich dahinter etwas bewegt und bin beruhigt: Die Stadt wird regiert.

PDF Spaziergang N° 2
 

Der Neubau des Mozarteums ist ein transparentes, lichtdurchflutetes Gebäude der Münchner Rechenauer-Architekten. Zwischen Studierenden mit Cellokästen oder Trompetentaschen gehe ich die Stiege im Foyer hinauf, die wie ein Willkommensgruß wirkt. Früher befanden sich hier verschachtelt Studier- und Musikzimmer, heute Licht und Stimmung. Die Einrichtungen der Kunstuniversität sind hinter der übrig gebliebenen, historischen Mauer des Primogeniturpalasts völlig neu sortiert.

Ich mache mich von hier aus auf einen Spaziergang durch Salzburg, um Häuser zu besuchen, denen ihr Eigentümer, die BIG, besondere Aufgaben zugedacht hat. Am Landestheater vorbei, über die Salzach.

Durch die Sternarkaden zur wurlerten Getreidegasse. Durch die Passage, wo aus einem Loch in der Wand die berühmten Bosna-Würstel serviert werden, in den Festspielbezirk. Ich muss stehenbleiben, um das Große Festspielhaus zu betrachten. Hinter den Fassaden von Clemens Holzmeisters Bau aus den Sechzigerjahren schlägt das Herz der Festspiele. An den gewissen Tagen strömt das reiche und schöne Premierenpublikum hier in die Vorstellungen. Aber gerade ist die Gasse leer.

Plakate kündigen bevorstehende Produktionen an, und könnte es sein, dass der Mann, der dort vorne im Furtwängler-Garten eine Zigarette raucht, der Festspielintendant ist? Ich durchquere den Furtwängler-Garten. Das Standbild Friedrich Schillers schaut mir über die Schulter, Erwin Wurms „Gurken“ kichern leise. Ich nehme den schmalen Durchgang in der nordöstlichen Ecke, um zum Universitätsplatz durchzustechen, wo wie immer der Grünmarkt stattfindet. Schüler sitzen vor dem Eingang zur Kollegienkirche und schlecken Eis. Ich öffne das monumentale Tor des Fischer-von-Erlach-Baus und trete ein. In eine neue Welt.

Nach zehnjähriger Renovierung ist die Kollegienkirche, wie es ihr berühmter Architekt seinerzeit geträumt hatte, buchstäblich zum „himmlischen Jerusalem auf Erden“ geworden. Ihr Inneres, prunkvoll und schlicht zugleich, erstrahlt in leuchtendem Weiß. Ich stehe unter der Kuppel, wo sich „vertikale und horizontale Energie“ verbinden soll und sehe, wie in einem der Seitenschiffe eine Handvoll junger Menschen Aufstellung nimmt. Der Chor stimmt etwas von Bach an, und der Moment grenzt an Vollkommenheit. Die Musik. Das Licht. Die Harmonie. An keinem anderen Ort der Welt wollte ich gerade sein.

Später gehe ich durch die Höfe der Juridischen Fakultät, betrachte den monumentalen Marmorkopf des katalanischen Künstlers Jaume Plensa, spaziere durch die enge Franziskanergasse zum Domplatz, grüße die Kulissen des „Jedermann“, überquere den Kapitelplatz und biege in die Kapitelgasse ein, wo in den früheren Kapitelhäusern    Räumlichkeiten der Altstadt- Universität untergebracht sind, kleine Innenhöfe, ein unterirdischer Hörsaal, lauschige Durchblicke, sogar in den Garten des Erzbischofs.

Lange bleibe ich vor dem Haus der Hochschülerschaft stehen, das schlank, hoch und alt in die Kaigasse ragt. Als „Höglwörther Hof“ wurde es schon im 15. Jahrhundert erwähnt, heute trägt es die eigene Geschichte mit dem Selbstbewusstsein zeitgemäßer Nützlichkeit.

Es ist nicht weit von hier zum Kajetanerplatz mit seinen bunten Häusern und zum massiven Komplex des Justizgebäudes, das die Altstadt wie ein Riegel gegen das Nonntal abschließt. Das trutzige, herrische Justizgebäude hat durch entschlossene Eingriffe der Architekten Franz & Sue eine grundlegende Verwandlung erfahren. Ein leichtfüßiger Neubau verbindet die Innenhöfe mehr, als er sie trennt, und auf dem Dach wurde ein Café eingerichtet, das auch für Passanten geöffnet ist. Nachdem ich die Sicherheitsschleuse passiert habe – der Wunsch nach einem Espresso legitimiert mich ausreichend – genieße ich die Aussicht über Altstadt und Kapuzinerberg, wo sich angeblich eine „Schlagergöttin“ ein kleines Haus gekauft hat. Na sowas.

Der Abstecher zum Neubau des Uniparks Nonntal ist wie eine Coda zur perfekten Form meiner Route. Auf dem Areal des ehemaligen SAK-Platzes ist ein geschickt platzierter Glas-Stahlbau entstanden, voluminös, aber schwebend, der einerseits die vielschichtigen Anforderungen der Kultur- und Geisteswissenschaftlichen Fakultät erfüllt, andererseits aber auch einen topographischen Wegweiser in den Bildungscluster darstellt, der hier entstanden ist, Universität, Gymnasien, Sportanlagen. Auch hier zieht es mich aufs Dach. Die Aussicht ist so kostbar wie auf neun Postkarten zusammen. Kein Wunder, dass Salzburger Politiker hier gern Zukunftsprojekte präsentieren.

Mehr Salzburg und mehr Zukunft gibt es auf einen Blick nirgends. Aus dem Café UnikumSky kriechen die langsamen Beats einer Popballade. Würde jetzt Mozart gespielt, niemand würde es mir glauben.

 

Christian Seiler schreibt eine wöchentliche Gehen-Kolumne im Freizeit-Magazin des Kurier.
Zuletzt erschien sein Buch „Besser gehen in Wien. 89 Spaziergänge ins Innere der schönsten Stadt der Welt“.